In ganz Europa sind die Militärausgaben auf ein Niveau gestiegen, das seit dem Kalten Krieg nicht mehr erreicht wurde. Und deshalb gibt es Bedenken, dass dieser starke Anstieg auf Kosten von Renten, Gesundheitsversorgung und anderen sozialen Leistungen geht. Ist das auch so?
Hallo, hier ist Nina Lamparski des Faktencheckteams für Euranet Plus
Das Thema ist auch zum Inhalt von Desinformation geworden. Im Internet werden falsche Behauptungen verbreitet. Etwa; die EU plane, die Ersparnisse der Bürger und Bürgerinnen zu beschlagnahmen oder öffentliche Sozialsysteme abzubauen, um die Verteidigung zu finanzieren. Experten sagen, viele dieser Narrative stammen aus pro-russischen Quellen, mit dem Ziel, Misstrauen in die Europäischen Institutionen zu sähen, und öffentliche Gegenreaktionen zu schüren. EU-Vertreter und Faktenprüfer haben die Vorwürfe zurückgewiesen und erklärt, dass es keine Pläne gebe, Renten zu kürzen oder Sozialleistungen abzuschaffen – allerdings bestehe ein realer Haushaltsdruck. Einem neuen Bericht zufolge, der auf Daten des Stockholmer Friedensforschungsinstituts basiert, sind die europäischen Verteidigungsausgaben bis 2024 um 17 Prozent gestiegen und liegen bei 693 Milliarden Dollar.
Deutschland ist aktuell das Land mit den höchsten Militärausgaben in Mittel- und Westeuropa. Polen ist mit über vier Prozent seines BIP für Verteidigungsausgaben der NATO-Spitzenreiter. Achtzehn NATO-Staaten erreichen mittlerweile das Zwei-Prozent-Ziel der Allianz, im Vorjahr waren es nur elf. Während die meisten Regierungen direkte Kürzungen der Sozialleistungen bislang vermieden haben, stellt der Bericht einen wachsenden Druck fest. In Frankreich gab es wegen der Rentenreform zur Anhebung des Renteneintrittsalters Massenproteste. In Italien wurde ein Programm zum Grundeinkommen zurückgefahren. Und in Belgien gab es wegen der erhöhten Verteidigungsausgaben Verzögerungen bei der Auszahlung von Wohnbauförderungen und die Regeln zur Arbeitslosigkeit wurden verschärft. Osteuropäische Staaten wie Estland und Lettland haben ihre Militärbudgets drastisch erhöht und gleichzeitig den geplanten Ausbau des Sozialsystems aufgeschoben.
Die nächste große Bewährungsprobe steht mit dem langfristigen EU-Haushalt für die Jahre 2028 bis 2034 bevor. Mit steigenden Kosten für Verteidigung, dem Klimaschutz, und dem demografischen Wandel stehen die Europäischen Chefs und Chefinnen vor den schwierigen Entscheidungen, was finanziert werden soll, und was nicht. Ob Europa seine militärische Stärke ausbauen und gleichzeitig seine Sozialmodelle bewahren kann, könnte sich als eine der Herausforderungen des nächsten Jahrzehnts erweisen.