Erdogan-Interview mit viel Kalkül?

Die Lage in der Türkei ist und bleibt nach dem Putschversuch angespannt. Präsident Erdogan regiert weiter mit harter Hand. Tausende Richter und Lehrer werden entlassen und viele Kritiker verhaftet. In einem Interview mit der ARD hat Erdogan sein Handeln jetzt noch einmal verteidigt und auch die Wiedereinführung der Todesstrafe erneut ins Spiel gebracht. Holger Winkelmann hat sich dazu mit einem Türkei-Experten unterhalten.

Türkische Staatsflagge am Bug eines Schiffes, mit Meer und Brücke im Hintergrund.

Die Begründung Erdogans für die Diskussion um die Wiedereinführung der Todesstrafe ist einfach. Die Kurzform: Das Volk will es so – also könne er gar nicht anders. Doch es gibt nicht wenige, die glauben, dass dahinter viel Polemik steckt. Einer von ihnen ist Caner Aver vom Institut für Türkeistudien in Essen.

„Ich glaube nach wie vor, dass er da ein bisschen rumspielt, Stärke demonstrieren möchte und möglicherweise am Ende auch sagen wird: Das Volk wollte es zwar, aber ich wollte es nicht. Insofern wird diese Todesstrafe auch letzten Endes nichts bringen, weil rückwirkend niemand bestraft werden kann, und eine Todesstrafe auch sehr viele politische Folgen mit sich bringen würde.“

Politische Folgen, zu denen, da sind sich viele EU-Politiker einig, auch das Ende von Beitrittsverhandlungen gehören würde. Erdogan selbst scheint das mittlerweile egal zu sein. Man habe die Todesstrafe schon lange abgeschafft, gebracht habe das auch nichts, um in die EU zu kommen. Und auch sonst ist Erdogan auf die EU nicht gut zu sprechen. Sein Land halte seine Bedingungen beim Flüchtlingspakt ein. Doch die EU habe von den versprochenen drei Milliarden Euro bislang nur einen Bruchteil überwiesen. Caner Aver kann diese Kritik verstehen.

„Kalkül aber auch berechtigt, weil letzten Endes beherbergt die Türkei seit Jahren drei Millionen Flüchtlinge aus dem Nahen Osten und die Europäische Union kommt ihrer Verpflichtung nicht nach, obwohl die Türkei die Grenzen jetzt geschlossen hat und die Flüchtlinge nicht nach Europa lässt. Da ist die Europäische Union tatsächlich noch in der Bringschuld.“

Die EU-Kommission sieht das anders. Fast 750.000.000 Euro seien bislang geflossen. Bis zum Ende des Monats sollen es 2,15 Milliarden sein, so ein Sprecher der Kommission heute.