„Winner crushes all“ – Presseschau

Das Jahr 2016 ist so gut wie vorbei, und die letzten Stunden eines Jahres sind auch dazu angetan, viele Pläne für das kommende zu schmieden. Für die Menschen in Syrien dürfte das Sicher vor allem die Hoffnung auf ein Ende des Krieges sein, auch wenn die bislang vereinbarten Waffenruhen immer wieder gebrochen wurden. Dazu meint ein Autor der Bildzeitung:

Presseschau

„Die vermeintliche Waffenruhe, die Russland, Türkei und Iran über Syrien aushandeln, ist ein Sieg Putins und seiner Handpuppe Assad.
Und sie besiegelt das Aus für den Westen. Für die USA, die EU und die Bundesregierung. Obama, Kanzlerin Merkel und ihre Verbündeten in Europa haben in Syrien nichts mehr zu melden – durch eigenes Versagen. Das Metzeln wird dennoch weitergehen: Jeder der Beteiligten behält sich vor, gegen angebliche „Terroristen“ weiterzukämpfen: gegen Kurden und Assad-Gegner. Der türkische Präsident Erdogan hofft, dass er seine Isolation im Westen durch Kontakte mit Iran und Russland brechen kann. Alle drei werden in diesem Pulverfass weiter gegen die USA und Europa zündeln.“

Mit den Worten: In blutrotem Licht hat ein Autor der FAZ online seinen Kommentar überschrieben. Es geht um Anis Amri und um Schwächen der europäischen und der deutschen Sicherheitsarchitektur. Er fordert einen Untersuchungsausschuss, um die Fehler zu untersuchen.

„Seit dem Wegfall der Grenzkontrollen in Schengen-Europa vor gut zwanzig Jahren und dem Amsterdamer Vertrag gehört es zu den Standardfloskeln der Politik, die EU sei ein gemeinsamer Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Schön wär’s. Ein junger tunesischer Kleinkrimineller, der noch vor dem Ausbruch der Arabellion illegal nach Italien reist, dort vier Jahre lang in diversen Gefängnissen einsitzt, Mitte 2015 vom Radar der italienischen Behörden verschwindet, obwohl er schon als potentieller Terrorist gilt, bald darauf in Freiburg im Breisgau auftaucht und einige Monate später in Nordrhein-Westfalen einen Asylantrag stellt – für Menschen mit hoher krimineller Energie wie Amri ist dieses Europa ein Dorado, wie man es sich schöner nicht vorstellen kann. Das atlantische Bündnis beweist nur eines: wie wehrlos es in diesem Konflikt ist.“

Ziemlich wehrlos erscheint der Westen auch, wenn es um die Entwicklungen in der Türkei geht. In einem Gastbeitrag in der „Süddeutschen“ schreibt der türkische Journalist und Blogger Yavuz Baydar:

„Gibt es fürs neue Jahr Grund zur Hoffnung? Mir geht es auch nicht anders als uns allen; ich weiß es nicht. Einer der Schrecken, die uns 2016 heimsuchten, fand in der Türkei statt. Es war das Jahr eines intensiven Albtraums, der noch nicht vorbei ist. Viele Deutsche, mit denen ich in den letzten Monaten über die Türkei gesprochen habe, fühlen sich an die dunkle Vergangenheit ihres Landes erinnert.(…) Der Kampf für die Demokratie hat eine schwere Niederlage erlitten. Nach dem Putsch im Sommer berief sich Präsident Erdoğan auf die Demokratie. Er instrumentalisierte sie und begründete dabei ein äußerst hässliches Prinzip der Machtverteilung: das Prinzip „Winner Crushes All“. Wer als Sieger aus dem demokratischen Prozess hervorgeht, darf die Opposition zerstören. (…)2016 wird als das Jahr in die Geschichte eingehen, in dem der türkische Rechtsstaat beerdigt wurde.“