Ist Visafreiheit der richtige Schritt? – Die Presseschau

Die ARD hat in dieser Woche Inhalte eines internen EU-Papiers freigegeben: Also wurde schon vorab bekannt, dass die EU-Kommission dem Europäischen Rat und dem Parlament vorschlagen wird, die Visa-Anforderungen für türkische Bürger aufzuheben. Ein Autor des Magazins „Spiegel“ findet diesen Schritt richtig, auch wenn die Kritik groß ist, dass Europa es damit Präsident Erdogan Recht macht:

Presseschau

Das ist nicht falsch. Doch wer so argumentiert, macht es sich zu leicht. Zum einen fällt der entscheidende Startschuss für die Visaliberalisierung nicht heute, er ist längst gefallen, und zwar bei Abschluss des Türkei-Deals Mitte März. Den hat vor allem die deutsche Kanzlerin Angela Merkel angetrieben. Wer gegen die Visaliberalisierung für die Türken ist, hätte den Flüchtlingsdeal im März verhindern müssen. Fielen die Europäer jetzt hinter ihr Versprechen zurück, der Schaden wäre gewaltig. Das gilt, zweiter Punkt, umso mehr, als die Visafreiheit genau die Kräfte in der Türkei stärken könnte, die ihr Land näher an Europa heranrücken wollen. Es ist ja nicht so, dass der zunehmend autokratisch handelnde Erdogan die Geschicke seines Landes allein bestimmt. Er liefert sich einen zähen Machtkampf mit Premierminister Ahmet Davutoglu, also dem Mann, der mit der EU die Details des Flüchtlingsdeals ausgehandelt hat. Auch wenn nicht alle Punkte erfüllt sind: Unbestritten ist, dass die Türkei große Fortschritte erzielte, um die Bedingungen für die Visaliberalisierung zu erfüllen.

Ein Autor der Berliner Zeitung hat zu diesem Umstand eine etwas andere Haltung.

Der Preis ist hoch. Die EU zeigt sich seit einiger Zeit bereit, den autoritären Umgang der türkischen Machthaber mit der Meinungs- und Pressefreiheit widerstandslos hinzunehmen – und zwar auch dann, wenn es heimische Journalisten trifft. Ohnehin ist Merkels Verhalten gegenüber Erdogan mittlerweile sehr devot. Derzeit nicht sehr wahrscheinlich ist, dass ein größerer Teil der ohne Visum nach Europa kommenden Türken hier etwa zur Schwarzarbeit in die Illegalität abtaucht. Wahrscheinlicher ist da schon, dass Menschen vom Bosporus hier in nennenswerter Zahl selbst Asyl beantragen. 11.000 anerkannte türkische Flüchtlinge gibt es in Deutschland bereits. In der Türkei selbst irren 400.000 meist kurdische Binnenflüchtlinge umher, da Erdogan den Kurdenkonflikt nicht ohne Gewalt lösen kann – und lösen will. Dass das Land syrische, irakische oder afghanische Flüchtlinge aus Europa „importiert“, um seinerseits eigene Flüchtlinge zu „exportieren“, wäre der Gipfel – der Gipfel an Absurdität. Und Menschenverachtung.
Das Handelsabkommen TTIP mit den USA – Nun hat Greenpeace neue Papiere veröffentlicht, die so ziemlich alle Befürchtungen der TTIP-Kritiker bestätigen. Eine Autorin der „Zeit“ findet:

Für die USA geht es bei TTIP vor allem darum, die Interessen der heimischen Konzerne zu vertreten. Überraschend ist das nicht, aber nachdem diese Dokumente in der Öffentlichkeit sind, lässt es sich auch nicht mehr leugnen. Die USA wollen, dass Europa seine Vorbehalte gegen gentechnisch behandelte Nahrungsmittel und Hormonfleisch aufgibt. Überhaupt möchten sie ganz grundsätzlich mehr landwirtschaftliche Produkte in die EU verkaufen, also niedrigere Agrarzölle. Im europäischen Verbraucherschutz, der es ermöglicht, eventuell gesundheitsschädliche Kosmetika oder Lebensmittel rein vorsichtshalber zu verbieten, sehen sie ein unnötiges Handelshemmnis. Auch er soll fallen. In Zukunft soll die EU Regeln, die den Handel womöglich erschweren, nur noch in Ausnahmefällen erlassen können. (…). Der eigentliche Skandal ist jedoch, dass es geleakte Papiere braucht, um überhaupt eine fundierte Diskussion über Stand und Ziel der Gespräche zu ermöglichen. (…) Auf solcher Basis darf kein Handelsabkommen geschlossen werden.