EU darf sich nicht erpressen lassen

Auch weiterhin dreht sich in der deutschen Nachrichtenwelt vieles um die Türkei. Vor allem in EU-Angelegenheiten, denn schließlich kommt viel Druck von Präsident Erdogan. Er will den Flüchtlingspakt platzen lassen etc.. Ein Autor der Osnabrücker Zeitung schreibt dazu, dass die EU sich nicht erpressen lassen dürfe:

Presseschau

Es ist nicht das erste Mal, dass Ankara damit droht, wieder mehr Menschen in Richtung Griechenland ziehen zu lassen. Passiert ist das bisher nicht, doch haben sich die Rahmenbedingungen geändert: Nach dem Putschversuch liegen die Nerven bei vielen Politikern in Ankara bloß. Das erhöht die Unsicherheit. Zudem sind durch den Ausnahmezustand und die Welle der Repression in der Türkei die Chancen gesunken, dass die Regierung in Ankara die von der EU genannten rechtsstaatlichen Voraussetzungen für die Visafreiheit erfüllt. Vor allem ist nicht erkennbar, dass Erdogan sich in der Frage der umstrittenen Anti-Terror-Gesetze bewegen könnte. Er sieht sich im Kampf gegen eine Vielzahl von Gegnern. Da lässt er sich von der EU keine Vorschriften machen – jetzt noch weniger als vor dem Putschversuch. Die EU ist trotzdem gut beraten, sich nicht erpressen zu lassen. Denn das würde ihre Glaubwürdigkeit erschüttern. Zudem ist das Drohpotenzial eines Bruchs des Flüchtlingspakts deutlich gesunken, seitdem die Balkan-Route für Migranten geschlossen ist. Es ist deshalb richtig, Ruhe zu bewahren – und weiter im Gespräch zu bleiben.

Ein Autor der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schreibt über die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Er würde sie aus taktischen Gründen nicht abbrechen, hält sie aber auch nicht für realistisch:

An der Bemerkung des österreichischen Kanzlers, die Beitrittsgespräche seien nur noch diplomatische Fiktion, ist viel Wahres. Nicht wenige EU-Staaten sind von einem Beitritt der Türkei alles andere als begeistert, zumal er den inneren Zusammenhalt weiter erodieren ließe – Ankaras Interesse an der EU wiederum hat in den vergangenen Jahren merklich nachgelassen. Der autoritäre Kurs, den die Führung um Erdogan schon geraume Zeit verfolgt, hat die Distanz zu „Europa“ wachsen lassen. Aber seien wir ehrlich: Die Diskussion über die europäischen Aussichten der Türkei ist immer unehrlich geführt worden. Natürlich sind ihre kulturell-religiöse Prägung und die geopolitische Lage von Belang. Ist sie überhaupt ein „europäisches“ Land? Auf der anderen Seite ist es auch richtig, dass uns mit der Türkei wichtige Interessen verbinden. Vielleicht könnte das künftige Verhältnis Britanniens zur EU Vorbild sein und einen Ausweg eröffnen.

Eine ganz klare Meinung vertritt ein Kolumnist in der Zeitung „die Zeit“. Er schreibt, dass das Vorgehen Erdogans an die schlimmsten Diktatoren erinnert:

Die Argumente sind bekannt: Die Türkei ist für die Vereinigten Staaten und die Nato ein unersetzlicher Verbündeter im Kampf um die Befriedung Syriens. Auch für die Europäische Union ist Recep Tayyip Erdoğan ein unverzichtbarer Partner bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise. Doch langsam überzeugen diese Argumente nicht mehr. Es ist an der Zeit, gegenüber dem Präsidenten härter aufzutreten. Es ist höchste Zeit, nicht länger mit verschränkten Armen hinzunehmen, was uns der neue Sultan in Ankara zumutet. Erdoğan trägt im Fernsehen die Lüge vor, seine in Deutschland lebenden Anhänger dürften keine Demonstrationen veranstalten, die türkische Flagge dürfe nicht gezeigt werden. Die Sonntagsdemonstration in Köln lieferte ein unwiderlegbares Dementi. Er hetzt, oder lässt hetzen, gegen jene seiner Landsleute bei uns, die nicht für ihn sind, und beschwört damit eine Ausweitung des innertürkischen Streits auf die Bundesrepublik Deutschland herauf. Dabei sollten wir es nicht bewenden lassen. Die Beitrittsgespräche, welche die EU mit Ankara führt, gehören unverzüglich abgebrochen. Eine Erdoğan-Türkei kann niemals Mitglied werden; daher ist es sinnlos, überhaupt mit ihr zu verhandeln.