Großbritannien kein Vorbild – Die Presseschau

Auch über eine Woche nach dem Brexit-Votum der Briten kennt das Netz in Sachen Europa nur ein Thema: was sind die Folgen? Ein Autor des Handelsblatts hat sich mit dem EU-Gipfel beschäftigt, auf dem es um den Brexit ging und er hält Folgendes fest:

Presseschau

In vielen EU-Staaten sind in den vergangenen Jahren euroskeptische Parteien entstanden und immer stärker geworden. Für die darf Großbritannien auf keinen Fall ein positives Vorbild werden. Deshalb werden es die verbliebenen 27 EU-Regierungschefs den Briten jetzt nicht leicht machen. Die Zeit der Zugeständnisse an die Sonderlinge von der Insel sind vorbei. In den Austrittsverhandlungen wird man sich gegenseitig nichts schenken. Zwischen Großbritannien und dem Rest der EU sind in den nächsten zwei Jahren sehr harte Auseinandersetzungen zu erwarten. Den ersten Aufschlag hat Cameron bei diesem Gipfel schon gemacht. Der freie Handel mit Waren und Dienstleistungen im Europäischen Binnenmarkt sei zwar eine gute Sache, die Niederlassungsfreiheit der Menschen in der EU aber nicht, dozierte der Brite. Die EU solle beides doch bitte endlich voneinander trennen. EU-Ratspräsident Donald Tusk reagierte prompt. Die Freizügigkeit für Menschen sei „die Essenz“ der für die EU unverzichtbaren gemeinsamen Werte, gab der Pole zurück. Doch das war nur Vorgeplänkel. Zum nächsten regulären EU-Gipfel im Oktober kommt schon Camerons Nachfolger. Dann wird der politische Abschied der EU vom Vereinigten Königreich erst richtig beginnen. Er kann noch quälend lange dauern.“

Ein Autor des Spiegel hat sich mit der Rolle von Kommissions-Präsident Juncker und EU-Parlaments-Präsident Schulz auseinandergesetzt. Er nennt sie „das unbelehrbare Duo“. Deren Forderung nach mehr Integration der EU sei nicht die richtige Antwort auf das Brexit-Votum:

„Dass man nach dem Votum der Briten einmal innehalten könnte, dass es zurzeit viel mehr Fragen als Antworten gibt, dass möglicherweise das klassische Modell der europäischen Integration in der Krise ist – all das kommt den beiden nicht in den Sinn. Sie bleiben sich, das muss man anerkennen, in dieser Frage treu. Die eigenen Gewissheiten infrage zu stellen, das haben sie schon bei früheren Rückschlägen abgelehnt. Die Logik von Schulz und Juncker ist einfach und unwiderlegbar. Jeder Zweifel der Bürger am Integrationspfad aus den Fünfzigerjahren wird zum Beleg dafür, dass die EU mehr Einfluss braucht. Die Wahlbeteiligung für das Europäische Parlament geht zurück? Es hat nicht genug Macht. Der Euro wankt? Brüssel hat nicht genug Kompetenzen. Je größer die Zweifel, desto mehr Einfluss muss die EU bekommen. So einfach ist das. Außerdem hat der Brexit aus Sicht von Juncker und Schulz auch sein Gutes: Der größte Gegner der europäischen Integration ist bald draußen. Es gibt aus Sicht der beiden jedenfalls keinen Grund zu Selbstzweifeln. Es kommt ihnen nicht in den Sinn, dass sie den Europahassern in vielen Ländern mit ihrem unkonditionierten „Weiter so“ Munition liefern.“

Ein Autor der Frankfurter Allgemeinen hat sich mit Boris Johnson beschäftigt. Der Brexit-Kampagnenführer hat ja überraschend bekannt gegeben, nicht der nächste Premierminister Großbritanniens werden zu wollen. Das könnte noch etwas Gutes bringen ist sich der Autor sicher:

Johnsons unerträgliche Leichtigkeit des politischen Seins trug ihren Teil dazu bei, dass eine knappe Mehrheit der Behauptung Glauben schenkte, Großbritannien werde es nach dem Austritt aus der EU besser gehen als bisher. Das glaubt er nun aber nicht einmal mehr selbst, falls er es jemals tat. Es ist nicht auszuschließen, dass Johnson annahm, die Woge der „Leave“-Kampagne, die er ritt, werde ihn bis in die Downing Street tragen, aber nicht so gewaltig sein, dass sie Großbritannien tatsächlich aus der EU hinausspülen würde. Jetzt aber, da sich zeigt, in welche Katastrophe die planlosen „Brexiteers“ ihr Land führten, verließen ihn sein Mut und seine Großmäuligkeit. Seine Versprechen sind nicht zu erfüllen. Die Briten aber müssen sich nach seinem Offenbarungseid umso mehr fragen, warum sie ihm nachliefen. Doch könnte das britische Desaster auch sein Gutes haben. In Großbritannien erlebt der nicht nur dort anzutreffende Glaube, der Austritt aus der EU führe direkt ins Paradies, gerade sein Waterloo. Möglicherweise ist es selbst für die Briten noch nicht zu spät, eine Entscheidung zu korrigieren, die ihnen wenig bringt, aber viel nimmt.